Vera und David Trobisch
275 Methodist Rd.
Westbrook, ME 04092
USA
Der Stand der Dinge, Dezember 2007:
Am 21. Dezember ist die längste Nacht des Jahres. Jetzt
in der dunklen Zeit ist die beste Gelegenheit zu überdenken was wir erlebt
haben und können einiges auch zur Ruhe legen, wie die Natur es tut. Wenn dann
die Sonne uns wieder mehr Sonnenlicht bringt, können Pläne und Hoffnungen ihre
Transformation beginnen wie die Samenkörner in der Erde sich vorbereiten auf
einen neuen Zyklus des Jahreskreises.

Ich habe die Futterplätze für die Vögel in gut erreichbaren Plätzen rund ums Haus plaziert.
Außer den vielen Kohlmeisen, die der "Staatsvogel" von Maine sind,
kommen Finken, Wildtauben, Kleiber und ganz farbenfrohe Gäste.
Der Buntspecht hämmert lieber im Nussbaum.
Blue Jay und Cardinal
Unsere Eichhörnchen
sind mit Vorräten versorgt und nur selten wagt sich ein Streifenhörnchen ins
Freie. Diese kleinen Frechlinge haben sich eingedeckt, als ich ein
Futterhäuschen schon aufgefüllt nachlässig auf dem Hof stehen ließ. Erst als
das Hörnchen immer wieder zum Haus rannte mit Backentaschen, breiter als sein
Hinterteil, da schöpfte ich Verdacht. Ich musste dann aber doch die fleissige
Arbeit bewundern, denn das Vogelhäuschen war fast leer. Es kann nun ganz zuversichtlich
die Wintertage abwarten.
Im vergangenen
Mai bin ich zu meiner Mutter, Luise, gefahren um mit ihr den 90. Geburtstag zu
feiern. Vorher hatten Karin und Richard schon Luises Wohnung zur Renovierung
vorbereitet und so ergab es sich, dass Luise und ich ein kleines Abenteuer
wagten und wir zogen für einige Tage ins Hotel, damit die Handwerker ihre
Arbeit tun konnten und Luise das Chaos von umgeräumten Möbeln und Durcheinander
im Tagesablauf erspart blieb. Karin hatte Fotos von der Anordnung ihrer Schätze
in den Vitrinen gemacht und räumte alles wieder perfekt zurück. Eine
organisatorische Glanzleistung und tolle Idee. Für mich war es eine Gelegenheit
mitzuerleben wie der Alltag für Luise schwieriger zu bewältigen ist. Mein
Leibarzt sagt: "Alt werden ist nichts für Feiglinge!" Ich beginne
jetzt zu verstehen was er meint. Mutter ist körperlich in ganz guter Verfassung
und sie liebt es in die Seniorentagesstätte zu gehen. Ihr Gedächtnis lässt
immer mehr nach und darüber ist sie unglücklich. Im Sommer wurden ihre beiden
Augen wegen des "Grauen Stars" operiert. Sie hat auch das gut
überstanden. Ihre gehörlose Katze Lisa leistet ihr Gesellschaft, aber versorgt
werden beide Damen von Karin. Ich bewundere wie sie das schafft, hat sie doch
ein "Gnadenheim" für ein Dutzend Katzen hat und einen Ehemann, der
jetzt im Ruhestand ist. Das hat wie überall seine Anpassungsschwierigkeiten.
Im Sonnenhof am 90. Geburtstag:
Luise mit ihrer Nichte Esther
Schon bevor ich nach Deutschland kam, hatte ich erfahren,
dass meine Klassenkameradin Inge im Endstadium ihrer Krebserkrankung ins
Krankenhaus gebracht worden war. Sie ist eine von nur vier Mädchen unserer
Dorfschulklasse. Ich konnte sie noch zusammen mit Ingeburg besuchen. Wir
konnten mit Inge reden und es wurde geweint und gelacht. Wir fühlten uns sehr
verbunden, war es doch Inge, die uns
drei bei jedem meiner Besuche zu einem Kaffeeklatsch zusammenbrachte. Ingeburg
und ich erfuhren am übernächsten Tag, dass Inge gestorben war. Bei ihrer
Beerdigung sang ich ein Lied für sie.Ich sah viele Leute, die ich seit meiner
Schulzeit nicht mehr gesehen hatte. Ingeburg an meiner Seite war meine Hilfe
zur Orientierung. Sehr bewusst erlebe ich die Lebenszyklen. Wieder hat sich ein
Kreis geschlossen.
Während meines Besuches konnte ich bei meinen Kindern
wohnen. Zum ersten Mal sah ich ihr neues Zuhause vollständig eingerichtet. Ihre
Freunde nennen es das "Sonnenhaus". Simon und Bianca wählten alle
Farbschattierungen des Sonnenunterganges für die Ausgestaltung des Hauses. Es
ist der absolut angemessene Name für ihr Nest. Simon ist der Garten Spezialist.
Er jätet und pflanzt und hat einen kleinen Springbrunnen installiert. Einen
Drachen hat er auch (nicht nur wenn ich im Garten bin!).
Bianca und Simon hatten sich Zeit für mich freigehalten
und ich konnte wieder Bianca‘s Eltern und andere Familienmitgliedern sehen.
Bianca‘s Bruder Michael organisierte ein Muttertagsessen und es war so richtig
gemütlich und vertraut. Simon arbeitet in einer Kanzlei in Mannheim, Bianca
arbeitet in Schwetzingen.
Für mich war der Besuch wieder eine Übung im Muttersein,
was ein lebenslanger Lernprozess ist. Interessanterweise fand ich während
dieser Tage in einer Zeitung einen kurzen Text von Khalil Gibran.
Deine
Kinder sind nicht deine Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht
des Lebens nach sich selbst. Sie kommen durch dich, aber nicht von dir, und
obwohl sie mit dir sind, gehören sie dir doch nicht. Du kannst ihnen deine Liebe
geben, aber nicht deine Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Du
kannst ihrem Körper ein Heim geben, aber nicht ihrer Seele, denn ihre Seele
wohnt im Haus von morgen, das du nicht besuchen kannst, nicht einmal in deinen
Träumen. Du bist der Bogen, von dem deine Kinder als lebende Pfeile
ausgeschickt werden! Der Schütze sieht das Ziel auf dem PFAD DER Unendlichkeit,
und er spannt euch mit seiner Macht, damit seine Pfeile schnell und weit
fliegen. Lasst euren Bogen von der Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein.
Denn so wie er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der
fest ist.
Ich bin dankbar, dass David und ich immer mit den Kindern
reden können, wir schätzen die Meinung jedes Einzelnen, und vertrauen
einander, dass wir alle zuhören und trotzdem unsere eigenen Entscheidungen
treffen. Ich bin dankbar, so viel Achtung zu erfahren. Nur der Anfahrtsweg zu
den beiden ist zu weit. Aber wir arbeiten dran einen Kompromiss zu finden.
Von links Martin, Anna, Peggy, Ingrid und Vera; Mathias
hat fotografiert
Alles ändert sich. Anna die ich seit dem ersten Tag ihres
Lebens kenne, zieht es in die Heimat ihres Vaters. Martin stammt aus Bolton, in
der Nähe von Manchester. Dahin zog jetzt Anna zu ihrem John. Sie hat ihr
Studium zur Lehrerin an Gymnasien abgeschlossen und macht ihr Referendariat
jetzt in England. Mit John hat sie sich ein Zuhause eingerichtet und das wird
wohl Grund genug sein mal nach England zu kommen. Wir haben zum Abschied bei
Bethäusers ein ANNA Menü gegessen und gefeiert. Jetzt läuft das Telefon auch
nach England manchmal heiss.
Auf dem Herflug hatte ich einen lustigen Nebenmann. Es
war sein erster langer Flug und nach USA sowieso. Er wollte alles wissen. Wie geht ... Wir haben uns die ganze Zeit
unterhalten. Er hat Angst vor Turbulenzen gehabt. Er hat mich immer gleich
gefragt ob das normal ist. Er hat so laut gelacht, dass eine junge Frau mit
spitzem Mündchen sich beschwert hat. Wenn ich im Gang auf und ab gegangen bin
ist er mitgedackelt um mit mir zu gucken wo die Bordküche ist und ... Beim
landen hat er meine Hand gehalten. Er hat kurz verlegen gelacht, aber nicht
losgelassen bis das Flugzeug stand. Er ist 24, Mechaniker und seit 4 Jahren
LKW-Fahrer. Er war auf dem Weg seinen Bruder in Dallas zu besuchen und war dann
ganz unglücklich in Philadelphia, dass ich ihm nicht zeigen konnte, wie alles
geht bei der Einwanderungskontrolle. Ich musste in eine andere Abflughalle
gehen als er. Bei der Einreiseschlange gabelte er ein Mädchen auf, die auch
zum ersten Mal in USA war. Ich wartete hinter der Kontrolle auf die beiden, da
rennt eine andere junge Frau an mir
vorbei und sagt "Nina kommt gleich". Aha. Da kam auch schon mein
Mitreisender mit seiner Begleitung. Sie musste aber zur gleichen Flughalle wie
ich und da wollte sie sicherheitshalber lieber mit mir mit dem Shuttle Bus
hinfahren und da trennten sich die Wege von unserem Begleiter.
Bild: Isfahan David hat viel gearbeitet und sein
Manuskript für einen Paulus-Roman abgeschlossen. Jetzt muss noch der richtige
Verlag gefunden werden. Ich bin begeistert von seinem Ergebnis. Ich konnte den
Entstehungsprozess zum ersten Mal intensiv mitverfolgen, was bei seinen wissenschaftlichen
Veröffentlichungen ja nicht so möglich ist.
Im Juni reiste
David zum ersten Mal in den Iran. Er war sehr beeindruckt von der
Gastfreundlichkeit der Menschen. Er hatte viel Gelegenheit sich über die
politische Lage und die Lebenssituation zu informieren. Er findet immer
jemanden, der sich mit ihm unterhalten will.Die iranisch Regierung ist bei der
Bevölkerung genau so wenig beliebt wie Bush hier in USA.
David hat im Sommer einen Tag lang den Cowboy gemacht,
nicht gespielt! Auf unserer Wiese sind nach und nach immer mehr Rinder
aufgetaucht. David war allein zu hause und nach einem 911 Hilferuf hatte er
alle Hände voll zu tun die Tiere von der Strasse zu halten. Wir haben ja keinen
viehsicheren Zaun, damit hatten wir nun nicht gerechnet. Der Farmer hatte Mühe
die Tiere alle wieder zu seiner Weide zurückzutreiben, anscheinend hatte es ihnen
gut gefallen uns Kuhfladen vor‘s Haus fallen zu lassen. Ich muss sagen, ich hab
das Geschenk nicht so richtig zu schätzen gewusst!
Regelmäßig fliegt David nach New York zu seinen Sitzungen
mit den Mitarbeitern der Amerikanischen Bibelgesellschaft. Im November flog er
zu einem internationalen Kongress nach San Diego auf der anderen Seite des
Kontinents. Im Dezember war er in Lima, Peru um bei einer Konferenz der
amerikanischen Bibelgesellschaft einen Vortrag zu halten. Er hat sich lange mit
einer Theorie zur Entstehung des Neuen Testaments beschäftigt und jetzt gibt es
eine ganze Gruppe von Wissenschaftlern, die überzeugt sind, dass er recht hat.
Zwischendurch reiste er für eine Woche nach Toronto Canada.
Im Frühjahr hatten
wir hier in Maine einen schweren Regensturm. Der Boden war total gesättigt und
konnte kein Wasser mehr aufnehmen als der Sturm uns erreichte. Bäume jeglicher
Größe hatten keinen Halt mehr und wurden umgeweht. Garagen und kleinere
Baustrukturen wurden manchmal um einige Meter versetzt oder auf den Kopf
gestellt. David war grad mal wieder bei der Arbeit, als unser massiver
Bretterzaun plötzlich auf der Straße lag und Kait und ich mussten die Teile von
der Straße zerren. Aufheben konnten wir sie nicht, sonst hätten wir wie der
"fliegende Robert" abgehoben. Unterhalb des Hauses krachten Äste mit
einem Durchmesser von 35-40cm auf den Boden. Die Eiche vor dem Haus verlor
einen Ast, der knapp das Vordach verfehlte. Die Werkstatt wurde zum Teil
abgedeckt und der Regen, der völlig waagrecht gepeitscht kam, drang in die
Scheune und lief durch 3 Stockwerke in den Keller. Regenwasser suchte sich aus
diesem Grund auch einen Weg durch die Lüftungszellen im Dachfirst und machte Wasserflecken
an der Schlafzimmerdecke. 4 Tage waren wir ohne Strom. Das ist besonders
unangenehm, weil die Heizung dann ja ausfällt. Kochen tun wir dann mit einem
kleinen Gas-Campingkocher. Jetzt ist alles repariert, aber natürlich hat die
Versicherung nicht alles bezahlt. Jetzt ist der erste heftige Schneesturm auch
schon gut überstanden, ohne dass der Strom ausfiel. David hat jetzt ein neues
Lieblingswerkzeug: eine kleine elektrische Motorsäge. Er hat die Äste zersägt
und aufgestapelt. Ich hab sie heimlich auch schon benutzt! Macht Spaß!
Mir geht die Arbeit nie aus. In den letzten Wochen habe
ich an Collagen gearbeitet und bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden und habe
eine ganze Reihe schon gerahmt, der Rest wird verpackt und für den Verkauf
weggepackt.
Freude macht mir auch, Halsketten aus Heilsteinen zu
machen und an Leute zu verkaufen, die mit ihren Energiezentren arbeiten oder
die Edelsteine einfach schön finden. Beim Fernsehen entstehen wie immer
Wollsocken, die ich öfter vor diebischen Freunden beschützen muss.
Nach wie vor sind wir Pflegeeltern von Garbo, Kaits Rottweiler-Schäfer-Hündin.
Seit einigen Tagen geht auch Kait‘s Maine Coon Katze bei uns ein und aus. Auch
ein Pflegetier.
Von unseren assoziierten Familienmitgliedern gibt es auch
neues zu berichten.
Unsere
Lisa ist jetzt neunzehn und es geht ihr gut. Sie weiß jetzt besser welche
Ausbildung sie machen will und arbeitet noch bis Semesterbeginn bei SUBWAY und
versorgt die Kunden mit Sandwiches. Nach einem anstrengenden Klärungsprozess
haben sich Lisa und Mars (Marcel) getrennt. Es geht beiden gut und Mars, der auch
einige Wochen bei uns war, hält die Verbindung zu uns, was mich freut.
Kait, die bei uns im Haus wohnt, hat eine neue Beziehung
gewagt, die sie glücklich macht. Ihre Freundin Britt besucht uns auch häufiger
und ist also auch ein Teil unserer ausgedehnten Familie geworden. Mittlerweile
trägt Britt auch schon Vera-Socken, was mir natürlich gefällt.
Wir feiern Weihnachten bei Britts Schwester und werden es
uns dann zu Hause gemütlich machen.
Im Juli dieses Jahr wurde Davids Mutter Ingrid mit Bauchspeicheldrüsenkrebs
diagnostiziert. Es wurde klar, dass keine Operation die Krankheit aufhalten
konnte. Wir alle mussten mit dem Gedanken an einen kurzen schmerzvollen
Krankheitsverlauf vertraut werden. David hatte die Möglichkeit seinen
Unterricht anders zu organisieren und konnte einige kostbare Wochen mit seiner
Mutter verbringen. Sie bestand darauf jeden Tag aufzustehen und einige Zeit mit
den Kindern, die angereist waren, zusammen zu sitzen. Sie hatte ihr Leben lang
Tagebuch geführt und nahm nun ihre Kinder auf eine Erinnerungsreise mit durch
ihr Leben. Ich verbrachte auch zwei Wochen in Springfield und erlebte mit, wie
sie liebevoll und ohne zu urteilen mit uns über alles reden wollte. Sie hatte
große Schmerzen, die aber weitgehend mit Medikamenten zu bewältigen waren. Sie
hatte mit ihren Kindern entschieden, dass sie zu Hause bleiben wollte und
unterstützt wurden sie von der Hospizpflege. In der Betreuung trugen die beiden
Töchter, Ruth und Katrin, die Hauptlast, während die drei Söhne sich um die
organisatorischen Aufgaben kümmerten. Ingma, wie wir sie nennnen, wollte keine
unerledigten Geschäfte hinterlassen und dabei half jeder nach bestem Vermögen
mit. Ihre drei Schwestern begleiteten sie jeden Tag am Ende ihres Lebens. Wir
haben Ingma Ende Oktober in Springfield begraben.
Wir denken, dass das nächste Jahr wieder einige
Veränderungen bringen wird und arbeiten daran, dass es Veränderungen zum
Besseren sind. Wir denken liebevoll an euch alle und wünschen euch eine ruhige
Zeit zwischen den Jahren um auzusortieren was man nicht mehr weitermachen will
und was im kommenden Jahr Vorrang haben soll.
Ganz liebe Grüsse aus dem verschneiten Maine. Der nächste
Schneesturm wurde gerade für heute Nacht angekündigt.
Vera und David