Vera und David Trobisch

275 Methodist Rd.

Westbrook, ME 04092

USA

 

Der Stand der Dinge, Dezember 2007:

 

Am 21. Dezember ist die längste Nacht des Jahres. Jetzt in der dunklen Zeit ist die beste Gelegenheit zu über­denken was wir erlebt haben und können einiges auch zur Ruhe legen, wie die Natur es tut. Wenn dann die Sonne uns wieder mehr Sonnenlicht bringt, können Pläne und Hoffnungen ihre Transformation beginnen wie die Samen­körner in der Erde sich vorbereiten auf einen neuen Zyklus des Jahreskreises.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/0/04/Cyanocitta-cristata-004.jpg/200px-Cyanocitta-cristata-004.jpghttp://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/1e/Northern_Cardinal_Male-27527-2.jpg/250px-Northern_Cardinal_Male-27527-2.jpgIch habe die Futterplätze für die Vögel in gut  erreichbaren Plätzen rund ums Haus plaziert. Außer den vielen Kohlmeisen, die der "Staats­vogel" von Maine sind, kommen Finken, Wild­tauben, Kleiber und ganz farbenfrohe Gäste.

Der Buntspecht hämmert lieber im Nussbaum.

 

Blue Jay und Cardinal

http://www.crimsonmyst.com/photos.htmUnsere Eichhörnchen sind mit Vorräten versorgt und nur selten wagt sich ein Streifenhörnchen ins Freie. Diese kleinen Frechlinge haben sich eingedeckt, als ich ein Futterhäuschen schon aufgefüllt nachlässig auf dem Hof stehen ließ. Erst als das Hörnchen immer wieder zum Haus rannte mit Backentaschen, breiter als sein Hinterteil, da schöpfte ich Verdacht. Ich musste dann aber doch die fleissige Arbeit bewundern, denn das Vogelhäuschen war fast leer. Es kann nun ganz zuversichtlich die Wintertage abwarten.

IMG_1484.JPGIm vergangenen Mai bin ich zu meiner Mutter, Luise, gefahren um mit ihr den 90. Geburtstag zu feiern. Vorher hatten Karin und Richard schon Luises Wohnung zur Renovierung vorbereitet und so ergab es sich, dass Luise und ich ein kleines Abenteuer wagten und wir zogen für einige Tage ins Hotel, damit die Handwerker ihre Arbeit tun konnten und Luise das Chaos von umgeräumten Möbeln und Durcheinander im Tagesablauf erspart blieb. Karin hatte Fotos von der Anordnung ihrer Schätze in den Vitrinen gemacht und räumte alles wieder perfekt zurück. Eine organisatorische Glanzleistung und tolle Idee. Für mich war es eine Gelegenheit mitzuerleben wie der Alltag für Luise schwieriger zu bewältigen ist. Mein Leibarzt sagt: "Alt werden ist nichts für Feiglinge!" Ich beginne jetzt zu verstehen was er meint. Mutter ist körperlich in ganz guter Verfassung und sie liebt es in die Seniorentagesstätte zu gehen. Ihr Gedächtnis lässt immer mehr nach und darüber ist sie unglücklich. Im Sommer wurden ihre beiden Augen wegen des "Grauen Stars" operiert. Sie hat auch das gut überstanden. Ihre gehörlose Katze Lisa leistet ihr Gesellschaft, aber versorgt werden beide Damen von Karin. Ich bewundere wie sie das schafft, hat sie doch ein "Gnadenheim" für ein Dutzend Katzen hat und einen Ehemann, der jetzt im Ruhestand ist. Das hat wie überall seine Anpassungsschwierigkeiten.

 

Im Sonnenhof am 90. Geburtstag:

Luise mit ihrer Nichte Esther

 

Schon bevor ich nach Deutschland kam, hatte ich erfahren, dass meine Klassenkameradin Inge im Endstadium ihrer Krebserkrankung ins Krankenhaus gebracht worden war. Sie ist eine von nur vier Mädchen unserer Dorfschulklasse. Ich konnte sie noch zusammen mit Ingeburg besuchen. Wir konnten mit Inge reden und es wurde geweint und gelacht. Wir fühlten uns sehr verbunden,  war es doch Inge, die uns drei bei jedem meiner Besuche zu einem Kaffeeklatsch zusammenbrachte. Ingeburg und ich erfuhren am übernächsten Tag, dass Inge gestorben war. Bei ihrer Beerdigung sang ich ein Lied für sie.Ich sah viele Leute, die ich seit meiner Schulzeit nicht mehr gesehen hatte. Ingeburg an meiner Seite war meine Hilfe zur Orientierung. Sehr bewusst erlebe ich die Lebenszyklen. Wieder hat sich ein Kreis geschlossen.

Während meines Besuches konnte ich bei meinen Kindern wohnen. Zum ersten Mal sah ich ihr neues Zuhause vollständig eingerichtet. Ihre Freunde nennen es das "Sonnenhaus". Simon und Bianca wählten alle Farbschattier­ungen des Sonnenunterganges für die Ausgestaltung des Hauses. Es ist der absolut angemessene Name für ihr Nest. Simon ist der Garten Spezialist. Er jätet und pflanzt und hat einen kleinen Springbrunnen installiert. Einen Drachen hat er auch (nicht nur wenn ich im Garten bin!).

Bianca und Simon hatten sich Zeit für mich freigehalten und ich konnte wieder Bianca‘s Eltern und andere Familienmitgliedern sehen. Bianca‘s Bruder Michael organisierte ein Muttertagsessen und es war so richtig gemüt­lich und vertraut. Simon arbeitet in einer Kanzlei in Mannheim, Bianca arbeitet in Schwetzingen.

Für mich war der Besuch wieder eine Übung im Muttersein, was ein lebenslanger Lernprozess ist. Interessanter­weise fand ich während dieser Tage in einer Zeitung einen kurzen Text von Khalil Gibran.

Deine Kinder sind nicht deine Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Sie kommen durch dich, aber nicht von dir, und obwohl sie mit dir sind, gehören sie dir doch nicht. Du kannst ihnen deine Liebe geben, aber nicht deine Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Du kannst ihrem Körper ein Heim geben, aber nicht ihrer Seele, denn ihre Seele wohnt im Haus von morgen, das du nicht besuchen kannst, nicht einmal in deinen Träumen. Du bist der Bogen, von dem deine Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden! Der Schütze sieht das Ziel auf dem PFAD DER Unendlichkeit, und er spannt euch mit seiner Macht, damit seine Pfeile schnell und weit fliegen. Lasst euren Bogen von der Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein. Denn so wie er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist.

Ich bin dankbar, dass David und ich immer mit den Kindern reden können, wir schätzen die Meinung jedes Einzel­nen, und vertrauen einander, dass wir alle zuhören und trotzdem unsere eigenen Entscheidungen treffen. Ich bin dankbar, so viel Achtung zu erfahren. Nur der Anfahrtsweg zu den beiden ist zu weit. Aber wir arbeiten dran einen Kompromiss zu finden.

Von links Martin, Anna, Peggy, Ingrid und Vera; Mathias hat fotografiert

Alles ändert sich. Anna die ich seit dem ersten Tag ihres Lebens kenne, zieht es in die Heimat ihres Vaters. Martin stammt aus Bolton, in der Nähe von Manchester. Dahin zog jetzt Anna zu ihrem John. Sie hat ihr Studium zur Lehrerin an Gymnasien abgeschlossen und macht ihr Referendariat jetzt in England. Mit John hat sie sich ein Zuhause eingerichtet und das wird wohl Grund genug sein mal nach England zu kommen. Wir haben zum Abschied bei Bethäusers ein ANNA Menü gegessen und gefeiert. Jetzt läuft das Telefon auch nach England manchmal heiss.

Auf dem Herflug hatte ich einen lustigen Nebenmann. Es war sein erster langer Flug und nach USA sowieso. Er wollte alles wissen.  Wie geht ... Wir haben uns die ganze Zeit unterhalten. Er hat Angst vor Turbulenzen gehabt. Er hat mich immer gleich gefragt ob das normal ist. Er hat so laut gelacht, dass eine junge Frau mit spitzem Mündchen sich beschwert hat. Wenn ich im Gang auf und ab gegangen bin ist er mitgedackelt um mit mir zu gucken wo die Bordküche ist und ... Beim landen hat er meine Hand gehalten. Er hat kurz verlegen gelacht, aber nicht losgelassen bis das Flugzeug stand. Er ist 24, Mechaniker und seit 4 Jahren LKW-Fahrer. Er war auf dem Weg seinen Bruder in Dallas zu besuchen und war dann ganz unglücklich in Philadelphia, dass ich ihm nicht zeigen konnte, wie alles geht bei der Einwanderungskontrolle. Ich musste in eine andere Abflughalle gehen als er. Bei der Einreiseschlange ga­belte er ein Mädchen auf, die auch zum ersten Mal in USA war. Ich wartete hinter der Kontrolle auf die beiden, da rennt eine andere junge Frau an  mir vorbei und sagt "Nina kommt gleich". Aha. Da kam auch schon mein Mitrei­sender mit seiner Begleitung. Sie musste aber zur gleichen Flughalle wie ich und da wollte sie sicherheitshalber lieber mit mir mit dem Shuttle Bus hinfahren und da trennten sich die Wege von unserem Begleiter.

Bild: Isfahan   David hat viel gearbeitet und sein Manuskript für einen Paulus-Roman abgeschlossen. Jetzt muss noch der richtige Verlag gefunden werden. Ich bin begeistert von seinem Ergebnis. Ich konnte den Entstehungs­prozess zum ersten Mal intensiv mitverfolgen, was bei seinen wissen­schaftlichen Veröffentlichungen ja nicht so möglich ist.

Im Juni reiste David zum ersten Mal in den Iran. Er war sehr beein­druckt von der Gastfreundlichkeit der Menschen. Er hatte viel Gelegen­heit sich über die politische Lage und die Lebenssituation zu informie­ren. Er findet immer jemanden, der sich mit ihm unterhalten will.Die iranisch Regierung ist bei der Bevölkerung genau so wenig beliebt wie Bush hier in USA.

David hat im Sommer einen Tag lang den Cowboy gemacht, nicht gespielt! Auf unserer Wiese sind nach und nach immer mehr Rinder aufgetaucht. David war allein zu hause und nach einem 911 Hilferuf hatte er alle Hände voll zu tun die Tiere von der Strasse zu halten. Wir haben ja keinen vieh­sicheren Zaun, damit hatten wir nun nicht gerechnet. Der Farmer hatte Mühe die Tiere alle wieder zu seiner Weide zurückzutreiben, anscheinend hatte es ihnen gut gefallen uns Kuhfladen vor‘s Haus fallen zu lassen. Ich muss sagen, ich hab das Geschenk nicht so richtig zu schätzen gewusst!

Regelmäßig fliegt David nach New York zu seinen Sitzungen mit den Mit­arbeitern der Amerikanischen Bibelgesellschaft. Im November flog er zu einem internationalen Kongress nach San Diego auf der anderen Seite des Kontinents. Im Dezember war er in Lima, Peru um bei einer Konferenz der amerikanischen Bibelgesellschaft einen Vortrag zu halten. Er hat sich lange mit einer Theorie zur Entstehung des Neuen Testaments beschäftigt und jetzt gibt es eine ganze Gruppe von Wissenschaftlern, die überzeugt sind, dass er recht hat. Zwischendurch reiste er für eine Woche nach Toronto Canada.

Im Frühjahr hatten wir hier in Maine einen schweren Regensturm. Der Boden war total gesättigt und konnte kein Wasser mehr aufnehmen als der Sturm uns erreichte. Bäume jeglicher Größe hatten keinen Halt mehr und wurden umgeweht. Garagen und kleinere Baustrukturen wurden manchmal um einige Meter versetzt oder auf den Kopf gestellt. David war grad mal wieder bei der Arbeit, als unser massiver Bretterzaun plötzlich auf der Straße lag und Kait und ich mussten die Teile von der Straße zerren. Aufheben konnten wir sie nicht, sonst hätten wir wie der "fliegende Robert" abgehoben. Unterhalb des Hauses krachten Äste mit einem Durchmesser von 35-40cm auf den Boden. Die Eiche vor dem Haus verlor einen Ast, der knapp das Vordach verfehlte. Die Werkstatt wurde zum Teil abgedeckt und der Regen, der völlig waagrecht ge­peitscht kam, drang in die Scheune und lief durch 3 Stockwerke in den Keller. Re­genwasser suchte sich aus diesem Grund auch einen Weg durch die Lüftungs­zellen im Dachfirst und machte Wasserflecken an der Schlafzimmerdecke. 4 Tage waren wir ohne Strom. Das ist besonders unangenehm, weil die Heizung dann ja ausfällt. Kochen tun wir dann mit einem kleinen Gas-Campingkocher. Jetzt ist alles repariert, aber natürlich hat die Versicherung nicht alles bezahlt. Jetzt ist der erste heftige Schneesturm auch schon gut überstanden, ohne dass der Strom aus­fiel. David hat jetzt ein neues Lieblingswerkzeug: eine kleine elektrische Motor­säge. Er hat die Äste zersägt und aufgestapelt. Ich hab sie heimlich auch schon benutzt! Macht Spaß!

Mir geht die Arbeit nie aus. In den letzten Wochen habe ich an Collagen gearbeitet und bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden und habe eine ganze Reihe schon gerahmt, der Rest wird verpackt und für den Verkauf weggepackt.

Freude macht mir auch, Halsketten aus Heilsteinen zu machen und an Leute zu verkaufen, die mit ihren Energie­zentren arbeiten oder die Edelsteine einfach schön finden. Beim Fernsehen entstehen wie immer Wollsocken, die ich öfter vor diebischen Freunden beschützen muss.

Nach wie vor sind wir Pflegeeltern von Garbo, Kaits Rottweiler-Schäfer-Hündin. Seit einigen Tagen geht auch Kait‘s Maine Coon Katze bei uns ein und aus. Auch ein Pflegetier.

Von unseren assoziierten Familienmitgliedern gibt es auch neues zu berichten.

cid:858Unsere Lisa ist jetzt neunzehn und es geht ihr gut. Sie weiß jetzt besser welche Ausbildung sie machen will und arbeitet noch bis Semesterbeginn bei SUBWAY und versorgt die Kunden mit Sandwiches. Nach einem anstren­genden Klärungsprozess haben sich Lisa und Mars (Marcel) getrennt. Es geht beiden gut und Mars, der auch einige Wochen bei uns war, hält die Verbindung zu uns, was mich freut.

Kait, die bei uns im Haus wohnt, hat eine neue Beziehung gewagt, die sie glücklich macht. Ihre Freundin Britt besucht uns auch häufiger und ist also auch ein Teil unserer ausgedehnten Familie geworden. Mittlerweile trägt Britt auch schon Vera-Socken, was mir natürlich gefällt.

Wir feiern Weihnachten bei Britts Schwester und werden es uns dann zu Hause gemütlich machen.

Journaling Queen.JPGIm Juli dieses Jahr wurde Davids Mutter Ingrid mit Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert. Es wurde klar, dass keine Operation die Krankheit aufhalten konnte. Wir alle mussten mit dem Gedanken an einen kurzen schmerz­vollen Krankheitsverlauf vertraut werden. David hatte die Möglichkeit seinen Unterricht anders zu organisieren und konnte einige kostbare Wochen mit seiner Mutter verbringen. Sie bestand darauf jeden Tag aufzustehen und einige Zeit mit den Kindern, die angereist waren, zusammen zu sitzen. Sie hatte ihr Leben lang Tagebuch geführt und nahm nun ihre Kinder auf eine Erinnerungsreise mit durch ihr Leben. Ich verbrachte auch zwei Wochen in Springfield und erlebte mit, wie sie liebevoll und ohne zu urteilen mit uns über alles reden wollte. Sie hatte große Schmerzen, die aber weitgehend mit Medikamenten zu bewältigen waren. Sie hatte mit ihren Kindern entschieden, dass sie zu Hause bleiben wollte und unterstützt wurden sie von der Hospizpflege. In der Betreuung trugen die beiden Töchter, Ruth und Katrin, die Hauptlast, während die drei Söhne sich um die organi­satorischen Aufgaben kümmerten. Ingma, wie wir sie nennnen, wollte keine unerledigten Geschäfte hinterlassen und dabei half jeder nach bestem Vermögen mit. Ihre drei Schwestern begleiteten sie jeden Tag am Ende ihres Lebens. Wir haben Ingma Ende Oktober in Springfield begraben.

 

Wir denken, dass das nächste Jahr wieder einige Veränderungen bringen wird und arbeiten daran, dass es Veränderungen zum Besseren sind. Wir denken liebevoll an euch alle und wünschen euch eine ruhige Zeit zwischen den Jahren um auzusortieren was man nicht mehr weitermachen will und was im kommenden Jahr Vorrang haben soll.

Ganz liebe Grüsse aus dem verschneiten Maine. Der nächste Schneesturm wurde gerade für heute Nacht angekündigt.

Vera und David